Wo lag Hannover eigentlich im Mittelalter?

Wer auf der Ebstorfer Weltkarte (Abb.) seine Heimatstadt sucht, hat schlechte Karten, denn man sucht prompt an der falschen Stelle: Da, wo wir Europa suchen, fließt der Indus. Asien nimmt fast die ganze obere Hälfte der Karte ein, Europa liegt im unteren linken Viertel, Afrika erstreckt sich am rechten Rand der Karte. Von Australien und Amerika ist noch nichts zu sehen - sie waren noch nicht entdeckt.

Die Karte ist "Orient-iert", Osten liegt oben. Wir müßten die Karte also um 90° Grad nach rechts drehen, damit Norden oben, Europa in der Mitte des oberen Kartenviertels, Afrika darunter und Asien rechts davon liegen würden (Schema). Das Christentum kommt aus dem Osten, die Sonne geht dort auf. Deshalb liegt Osten oben.

Auch sehen die Länder nicht so aus, wie wir sie aus dem Schulatlas kennen. Wer nach vertrauten Umrissen sucht, sucht vergeblich. Länder wurden nicht nach ihrem geographischen Aussehen gezeichnet, sondern durch einen Schriftzug benannt. Städte durch Burgen oder Türme dargestellt. Es gibt Berge, Flüsse, Meere oder Land. Mehr war von der Erdoberfläche nicht wesentlich, denn die Lage eines Ortes wurde nicht durch Messungen bestimmt, sondern durch die Überlieferung der Bibel oder anderer von der Kirche anerkannter Texte.

Die Auftraggeber und Hersteller der Karte verfolgten andere Absichten, als nur die Erde abzubilden. Die Karte zeigt den historischen Werdegang der Welt aus christlicher Sicht. Von der Schöpfung bis zur mittelalterlichen Gegenwart.

Christliche Weltgeschichte

Kopf von Jesus Christus auf der Ebstorfer WeltkarteParadiesdarstellung auf der Ebstorfer WeltkarteArche Noah auf der Ebstorfer WeltkarteJerusalem auf der Ebstorfer Weltkarte

Am obersten Kartenrand sieht man den Kopf von Jesus Christus, seine Hände liegen jeweils rechts und links am Rand und die Füße ganz unten. Sein Leib stellt also die ganze Welt dar.

Die Geschichte der Welt beginnt oben auf der Karte mit der Darstellung des Sündenfalls im Paradies, weiter unten sind die Arche Noah und der Turm von Babel zu sehen. Genau in der Mitte der Karte, im Zentrum der Welt, liegt - nach mittelalterlicher Auffassung - Jerusalem.

Oben befinden sich also die ältesten Darstellungen und unten endet die Chronologie im mittelalterlichen Abendland.


Antike

Amazonen auf der Ebstorfer Weltkarte

Die Karte verzeichnet einige Orte, an denen Alexander der Große (356 - 323 v. Chr.) sich aufgehalten hat und berichtet von seiner Bändigung der schrecklichen Völker Gog und Magog, um deren Land er eine Mauer gezogen haben soll. Antike Gestalten und Themen erfreuten sich im Mittelalter großer Beliebtheit und wurden immer wieder neu bedichtet. So findet man außerdem zwei Amazonenköniginnen und den Garten der Hesperiden aus der Heraklessage.






Legenden und Fabelwesen

Die vielen Tier- und Menschenabbildungen, die einen besonderen Reiz mittelalterlicher Karten und Globen bilden, zeigen sehr beredt, wie man sich damals Fremdartiges vorstellte. Wie schon bei anderen Abbildungen gehören auch hier immer kleine kennzeichnende Geschichten dazu, oder sie Menschenfresser auf der Ebstorfer Weltkartestammen aus Sagen oder der Bibel. Als Fabeltiere erscheinen z.B. das Einhorn, der Vogel Greif und Phönix, der Vogel, der aus Asche wieder ersteht.

Andere Bilder erzählen von wilden Kriegern, Kannibalen oder Menschen, die vom Geruch von Äpfeln lebten.

Mobilität

Alle bekannten großen Flüsse und Meere wurden eingezeichnet. Sie trennen die Kontinente voneinander und lassen den Betrachter erkennen, wo die großen Städte liegen. Für die grobe Reiseplanung eignet sich die Karte, weil man durchaus erfährt, welche Flüsse man überqueren oder an welchen Küsten entlang man fahren muß. Besonders am Küstenstreifen des Heiligen Landes liegt eine Kreuzfahrerburg oder -stadt neben der anderen. Die Meere wirken für unsere Augen alle relativ klein. Es sieht nicht so aus, als ob die Reise über ein Meer sehr langwierig sei, was die Aufbruchsbereitschaft vielleicht steigerte.

Die zentrale Lage Jerusalems und die vielen Kreuzfahrerstätten machen den Aufforderungscharakter der Karte zum Heiligen Krieg, zur Befreiung Jerusalems deutlich.

Niedersachsen

Die Abbildung Norddeutschlands war geographisch sehr viel genauer, als die der übrigen Welt. Neben vielen deutschen Städten sind auch das junge Lüneburg oder Ebstorf mit seinen Märtyrergräbern verzeichnet. Offenbar ist die Ursprungsgegend der Karte besonders ausgiebig dargestellt worden. Darum finden wir auch Hannover auf der Karte: Es liegt in der Nähe von Ebstorf.